ARD baut „Faktenprüfung“ noch weiter aus
Während den Öffentlich-Rechtlichen das Publikum davonläuft, gründet die ARD ein „senderübergreifendes Faktencheck-Netzwerk gegen Desinformation“. Ob das die Kritik an den mit Milliarden-Gebühren finanzierten Rundfunkanstalten stoppt? Wie ist es überhaupt bestellt um die Qualität der Faktenchecks bei Tagesschau & Co?

Gemeinsame Standards für faktenbasierte Recherchen
„Die ARD erweitert ihre Kapazitäten gegen Desinformation“, verkündete NDR-Programmdirektor Frank Beckmann am 24. Juni 2025.[1] Unter der Federführung des Norddeutschen Rundfunks (NDR), der bisher schon für den ARD-„Faktenfinder“ verantwortlich zeichnete, nimmt nun ein neues, senderübergreifendes Faktencheck-Netzwerk seine Arbeit auf. Unter seinem Dach vereint und „personell verstärkt“: die Redaktionen von Tagesschau, den ARD-Landesanstalten, der Deutschen Welle und des Deutschlandradios.
Ziel sei es, so Beckmann, „gemeinsame Standards für faktenbasierte Recherchen zu etablieren“. Die Frage ist nicht nur, warum es diese bisher nicht gab. Immerhin existieren bereits Faktencheck-Redaktionen nicht nur bei ARD/Tagesschau („Faktenfinder“)[2], auch SWR3 hat einen Faktencheck („Wir prüfen Fakten, klären Fakes und Falschmeldungen“)[3], beim Bayerischen Rundfunk tummeln sich die „Faktenfüchse“[4], und es gibt sogar einen eigenen „Maischberger-Faktencheck“[5]. Unklar ist auch, was die ARD unter faktenbasierter Recherche versteht. Denn seitdem die ARD 2017 mit dem „Faktenfinder“ erstmals ein eigenes Ressort zur Aufklärung von Fake News gegründet hat, haben die selbsternannten Wahrheitshüter die Öffentlichkeit immer wieder auch selbst mit Halbwahrheiten und Falschinformationen getäuscht. Eine Anfrage an die ARD, was die geplante personelle Aufstockung die Gebührenzahler kosten wird und welche Qualifikationen die Faktenchecker mitbringen müssen, wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.
Veränderte politische Verhältnisse in USA
Als Grund für die Schaffung des neuen „senderübergreifenden Faktencheck-Netzwerks“ nennt die ARD unter anderem die veränderten politischen Verhältnisse in den USA: „Anlass für die neue Struktur war unter anderem die Ankündigung von Meta-CEO Mark Zuckerberg, die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenprüfern in den USA zu beenden.“[6] Zuckerberg sagte zur Begründung, das Fakten-Check-Programm sei zu fehleranfällig und habe zu einem wachsenden Unmut bei Nutzern geführt. Nutzer von Facebook, Instagram & Co. sollen durch sogenannte „Community-Notes“ selbst die Möglichkeit erhalten, irreführende oder vermeintlich falsche Aussagen zu kennzeichnen.[7] Hintergrund dürfte die zunehmende Kritik aus der neuen US-Administration an der Zensur von Meinungsäußerungen auf Social Media sein.[8]
Doch wozu braucht es überhaupt öffentlich-rechtliche „Faktenchecker“? Muss nicht jeder professionell arbeitende Journalist Tag für Tag Fakten und Quellen checken, die Fülle des Stoffs nach Relevanz und Aktualität gewichten, Plausibilitätsprüfungen vornehmen und nicht zuletzt die Frage „Follow the money!“ und „Wer profitiert davon?“ im Hinterkopf haben? So jedenfalls wird es zu Recht seit Jahrzehnten den Volontären in den Redaktionen, den Studierenden an Unis und Journalistenschulen beigebracht.
Reichweite von ARD und ZDF nimmt ab
Derweil wendet sich das Publikum zunehmend von den Öffentlich-Rechtlichen ab, die es zugleich mit verpflichtenden Rundfunkbeiträgen in Milliardenhöhe finanziert: Aus diesen Zwangsbeiträgen erhielten allein die ARD-Landesrundfunkanstalten 2024 über 6 Milliarden Euro, das sind 84 % des Gesamtetats.[9]
Zugleich nimmt seit Jahren die Reichweite (wöchentliche Nutzung) der öffentlich-rechtlichen Anbieter ARD und ZDF kontinuierlich ab, auch jene des ARD-Flaggschiffs Tagesschau. So sank die Anzahl der Personen, die von den Hörfunk- und Fernsehprogrammen der ARD-Sendeanstalten erreicht wurden, von 54% (2019)[10] auf 39% (2025)[11]. Im gleichen Zeitraum stieg die Online-Reichweite von Tagesschau & Co. nur leicht an – von 13% auf 17%. Der messbare wie wachsende Unmut könnte mit der oft einseitigen Berichterstattung in der Corona-Pandemie zu tun haben. Dabei spielten „Faktenchecker“ eine unrühmliche Rolle.
Qualität und Standards bei Faktencheckern
Dabei haben sich ausgerechnet die Faktenfinder der ARD – böse Zungen sprechen von Faktenerfindern – in den vergangenen Jahren stattliche Patzer geleistet und dabei verblüffende Ignoranz offenbart. Legendär ist der Übersetzungsfehler der ARD-Faktenfinder im Zusammenhang mit den Explosionen an den Pipelines von Nord Stream 1 und 2. Der US-Investigativjournalist Seymour Hersh, der unter anderem das My Lai-Massaker von US-Truppen in Vietnam aufdeckte, hatte im Februar 2023 auf seinem Substack berichtet: „How America Took Out The Nord Stream Pipeline“.[12] Demnach sprengten norwegische und US-Militärs drei der vier Stränge in der Ostsee. Die Passage „…plant shaped C4 charges on the four pipelines” übersetzten die „Faktenfinder“: „…C4-Sprengsätze in Form von Pflanzen an den vier Pipelines“. Andere Medien[13] griffen den Lapsus auf. Nachdem die ARD ihren Fehler erkannt und eingesehen hatte, korrigierte sie ihn still und geräuschlos im Internet. Ganz am Ende des Textes ist seither zu lesen: „In einer früheren Version war von Sprengstoff ‚in Form von Pflanzen‘ die Rede. Dabei handelte es sich um einen Übersetzungsfehler. Hersh schreibt von ‚plant shaped C4 charges‘. Das Wort ‚plant‘ ist in diesem Fall jedoch nicht mit ‚Pflanze‘ zu übersetzen, sondern mit ‚platzieren‘. Der Absatz wurde korrigiert.“[14]
Journalisten unter sich über „Verschwörungsgläubige“
Was im einen Fall ein peinlicher Irrtum ist, kann im anderen Fall fatale Folgen haben. Das zeigt ein anderes Beispiel aus dem Faktenfinder-Podcast der ARD: Unter der Überschrift „Corona, Masken, Impfungen: Die falschen Propheten der Pandemie“ ging es in einem Beitrag[15] vom 3. September 2021 neben vielen anderen Themen auch um möglicherweise tödliche Folgen einer zu häufig und falsch angewandten künstlichen (invasiven) Beatmung von Corona-Patienten im Krankenhaus. Als Experte wird darin kein Lungenfacharzt befragt. Stattdessen äußert sich dazu der Journalist Sebastian Leber vom „Tagesspiegel“ – und zwar ausdrücklich im Namen der „evidenzbasierten Wissenschaft“ – zu „Verschwörungsideologen“, die, so Leber unter anderem behaupten, nicht wenige der offiziellen Corona-Toten seien nicht an Corona gestorben, sondern in den Krankenhäusern, wo sie „falsch behandelt wurden, die Beatmungsgeräte hätten die Menschen getötet, bla bla“. Eine völlig abstruse These für Leber. Corona sei außerdem deutlich tödlicher als die Grippe, sagt Leber zudem. Einen Nachweis erbringt er dafür nicht.
Auffällig: In dem Beitrag bleiben die Journalisten unter sich – denn neben Leber kommt auch die ARD-Faktenfinderin Carla Reveland zu Wort – und arbeiten sich ab an „Corona-Leugnern, Querdenkern, Verschwörungsideologen“. Über die Ärzte Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi sagt Reveland beispielsweise, sie hätten sich nie für ihre falschen Aussagen entschuldigt und „den größten Schaden angerichtet“. Vor allem Bhakdi, „der hat ja gesagt, keine Angst, auch ohne Sicherheitsmaßnahmen wird es im schlimmsten Fall maximal 50 Tote am Tag geben. Und das ist natürlich großer Quatsch.“ Es sei „eine Strategie von Verschwörungsideologen, zu sehen, welcher Arzt vertritt eine Gegenmeinung und die pushen wir dann nach vorne.“
Irrtum mit gravierenden Konsequenzen
Die Faktenfinder der ARD hätten es besser wissen können. Denn nach einer bereits im März 2021 – also sechs Monate vor Ausstrahlung des Podcasts – veröffentlichten Studie[16] haben über 70 Prozent der Covid-Patienten die Behandlung mit dem auch als „künstliche Lunge“ bezeichneten Verfahren namens extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) nicht überlebt. Bei dieser Behandlung werden Schläuche in zwei große Blutgefäße eingebracht und das Blut außerhalb des Körpers durch ein Gerät gepumpt, das Kohlendioxid aus dem Blut entfernt und es mit Sauerstoff anreichert. In den Krankenhäusern anderer europäischer Länder, die Covid19-Patienten sehr viel seltener mit Verfahren der invasiven Beatmung wie ECMO behandelt haben, lag die Sterblichkeit im Schnitt bei nur 37 Prozent.
Die Frage ist, warum die mit Rundfunkgebühren auskömmlich finanzierten ARD-Faktenfinder auf diese Ergebnisse offenbar nicht gestoßen sind. Möglichkeiten, sich zu informieren, gab es genug. So hätten die Rechercheure der ARD etwa bei Unikliniken wie jenen in Tübingen oder bei der Charité in Berlin nachfragen können, in denen viele Corona-Kranke mittels ECMO behandelt worden sind. Beide Kliniken hatten dabei eine hohe Sterblichkeit verzeichnet. Die Faktenfinder hätten Kontakt aufnehmen können zu ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet. Zum Beispiel zu dem Lungenfacharzt Thomas Voshaar, dem damaligen Chefarzt der Lungenklinik im Bethanien-Krankenhaus in Moers. Schon früh hatte der Mediziner erkannt und berichtet, dass Covid19-Patienten eine deutlich höhere Überlebenschance haben, wenn man sich weniger oder gar nicht invasiv beatmet.[17]
Zusammen mit anderen Medizinern veröffentlichte Voshaar im März 2023 eine Studie,[18] die belegt, dass bis zu 20.000 Covid19-Patienten[19] in Deutschland nicht hätten sterben müssen, wenn sie weniger stark beatmet worden wären. Im Interview mit der „Welt“ nannte Voshaar 2023 einen möglichen Grund für die an vielen Kliniken praktizierte, fatale Übertherapie: „Es gibt für invasive Beatmung richtig viel Geld. Die stationären Behandlungskosten liegen durchschnittlich bei 5000 Euro, maschinelle Intensivbeatmung kann dagegen mit 38.500 Euro abgerechnet werden, im Einzelfall sogar mit 70.000 Euro. Das ist etwa sieben- bis zehnmal mehr, als die schonende Behandlung mit Sauerstoff über die Maske.“
Der „Faktencheck“ vom 3. September 2021 findet sich, neben vielen anderen zum Thema Corona, immer noch im Online-Angebot der ARD. Erläuternde Anmerkungen oder Hinweise darauf, dass mehrere Studien inzwischen zu anderen Ergebnissen gekommen sind als von den Faktenfindern dargestellt, sucht man dort vergeblich.
Geheimtreffen in Potsdam
Tatsächlich ist mangelnde Recherche aus Sicht mancher Verantwortlicher bei öffentlich-rechtlichen Sendern offenbar gang und gäbe – und zudem Teil des Tagesgeschäfts. Das zeigt der Fall der Berichterstattung über das sogenannte „Geheimtreffen in Potsdam“, das Anfang Januar 2024 für Schlagzeilen und tagelange Demonstrationen „gegen rechts“ sorgte.
Anlass dafür war die Berichterstattung des Senders über ein vermeintliches „Geheimtreffen von rechten Akteuren in Potsdam“. Das ZDF hatte am 10. Januar 2024 eine Recherche von „Correctiv“ übernommen, den das Medienhaus unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“[20] (10. Januar 2024) am selben Tag veröffentlicht hatte. Im ZDF heute journal sprach Moderatorin Marietta Slomka in der Anmoderation des Beitrags unter anderem davon, dass laut Correctiv-Bericht „die Deportation von Millionen Menschen, auch solcher mit deutscher Staatsbürgerschaft“ geplant worden sei. Im anschließenden Bericht hieß es dann, es sei auf dem Treffen um die Idee gegangen, auch Menschen mit deutschem Pass abzuschieben. Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, selbst Teilnehmer des Treffens, ging dagegen vor Gericht – und er gewann.
Ähnlich war es zuvor auch der Tagesschau ergangen. Auf ihrer Website hatte sie ebenfalls über die Correctiv-Veröffentlichung vom 10. Januar 2024 berichtet. Auch dagegen war Vosgerau vorgegangen – mit Erfolg. Im August 2024 entschied das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG), dass der NDR, der für die Tagesschau verantwortlich ist, in Bezug auf Vosgerau nicht weiter berichten darf, dass auf dem Potsdamer Treffen eine Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden sei. Das OLG stütze das Verbot dieser Aussagen darauf, das es sich hierbei um „prozessual unwahre Tatsachenbehauptungen“ handele.
Bemerkenswert ist, was das ZDF zu seiner Verteidigung vor dem Landgericht Hamburg vortragen ließ: Im Rahmen der tagesaktuellen Nachrichtenberichterstattung seien „den Medien eigene Nachrecherchen aus Zeitgründen in aller Regel nicht möglich“.
Der langjährige freie Mitarbeiter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Peter Welchering, schreibt dazu in der „Berliner Zeitung“: [21] „ARD und ZDF sendeten unbelegte Details des Potsdamer Treffens, auf dem über Deportation und Vertreibung auch deutscher Staatsbürger diskutiert worden sei. Sie hatten keine Quellen nachhaltig dafür überprüft. Sie hatten keine eigenen Recherchen zum Thema angestellt. Sie hatten nur ein Bühnenstück von Correctiv.“[22]
Lese-Empfehlung
Meinungsfreiheit in Gefahr! Wie der Staat die Demokratie aushöhlt
Interview-Serie mit Jan Ristau zu seinem gleichnamigen Buch
Desinformation im Netz: „ein zentrales Problem des 21. Jahrhunderts?
Sind das die neuen „gemeinsamen Standards für faktenbasierte Recherchen“, von denen die ARD in ihrer aktuellen Pressemitteilung schreibt?
Bleibt noch zu erwähnen, dass „Correctiv“ auch eine eigene Faktencheck-Abteilung betreibt und verkündet: Desinformation im Netz sei „ein zentrales Problem des 21. Jahrhunderts mit dem Potenzial, Demokratien zu zerreiben“. Falschinformationen könnten „Angst und Hass schüren, Menschen verunsichern, sie davon abbringen, zum Arzt zu gehen oder ihr Wahlverhalten beeinflussen.“[23] Man möchte ergänzen: Oder mit Hilfe einer journalistisch zumindest fragwürdigen Melange aus Reportage und „Bühnenstück“ (sowie deren ungeprüfte Übernahme bei „Tagesschau“ und „Heute“) republikweit Massenproteste auslösen („Ganz Berlin hasst die AfD!“).
Wie wäre es, wenn Journalisten einfach ihr journalistisches Handwerk machen und Politik, Behörden oder Wirtschaft kontrollieren, weil ohne diese Kontrolle Demokratie nicht funktionieren kann? Damit nicht erneut passiert, was in der Pandemie in vielen Redaktionsstuben geschah: Damals schien ein Großteil der Journalisten plötzlich vergessen zu haben, dass eine Recherche mit der Antwort des dem Bundesgesundheitsminister unterstellten Paul-Ehrlich-Instituts noch lange nicht vorbei ist. Vielmehr fängt sie da erst an.
ARD Faktencheck Netzwerk
(Grafik durch Anklicken vergrößern)
Quellen
- 1ard-pressemeldungen/2025/06-24-ARD-startet
- 2tagesschau.de/faktenfinder
- 3swr3.de/fake-news-check/
- 4br.de/faktenfuchs-faktencheck
- 5daserste.de/maischberger
- 6ard.de/die-ard/presse-und-kontakt
- 7deutschlandfunk.de
- 8welt.de/debatte
- 9ard.de/die-ard/organisation-der-ard
- 10reutersinstitute.politics.ox.ac.uk
- 11reutersinstitute.politics.ox.ac.uk
- 12focus.de/kultur/kino_tv
- 13focus.de/kultur
- 14tagesschau.de/faktenfinder
- 15tagesschau.de/faktenfinder
- 16pmc.ncbi.nlm.nih.gov
- 17bethanien-moers.de/lungenheilkunde
- 18thieme-connect.com/products
- 19welt.de/wird-zu-haeufig-kuenstlich-beatmet
- 20archive.ph/R9dPa
- 21archive.ph/TEDTu
- 22archive.ph/t5kbE
- 23correctiv.org/faktencheck