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Kommentar

Ethikrat ohne Ethik? Recht auf Selbstbestimmung über eigenen Körper „gelte nicht absolut“

Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens, er ist ein „unabhängiger Beraterstab, ein Korrektiv der Bundesregierung.“ Camilla Hildebrandt fragt: Brauchen wir ihn überhaupt? Was empfiehlt er?
„Der Deutsche Ethikrat sieht eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, durch eine Impfung sich und andere zu schützen. (2021)“

Blick in den Sitzungssaal des Ethikrats (@Ethikrat)

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Der Deutsche Ethikrat besteht aus 26 Mitgliedern. Vorgeschlagen werden diese zur Hälfte vom Deutschen Bundestag, zur anderen Hälfte von der Bundesregierung. Die Berufung erfolgt durch den Präsidenten des Bundestages. Nach Proporz können die Fraktionen Kandidaten vorschlagen. AfD-Kandidaten wurden allerdings nie berufen. Zufall oder politische Beeinflussung? Finanziert wird er vollständig vom Bund, aus den Haushalten des Ministeriums für Gesundheit und Bildung und Forschung. Auf der Webseite kann man lesen: „Der Deutsche Ethikrat ist in seiner Tätigkeit unabhängig.“

Ist das so?

Hundertprozentige Ernennung durch gewählte Politiker, hundertprozentige Finanzierung durch die Haushalte der gewählten Politiker, da könnte man vermuten, dass die Volksvertreter solchen zukünftigen Ethikratsmitgliedern den Vorrang geben, die ihnen in ihrer Geisteshaltung und in ihren Interessen nahe stehen.

Böse Unterstellung?

Prof. Christoph Lütge, Philosoph und Wirtschaftsethiker, ehemals Mitglied des bayrischen Ethikrats – ernannt durch die bayrische Staatsregierung – wurde unschön aus demselben verabschiedet, nachdem er die Corona-Maßnahmen seines Landesherren in Frage gestellt hatte. Sein Statement dazu: „Eine Ethik, die keine Kritik zulässt, ist keine Ethik.“1

Zudem wurde in den letzten Jahren mehrfach auf die fehlende Transparenz der Ethikratsmitglieder hingewiesen, besonders, was mögliche Interessenkonflikte betrifft. Peter Dabrock, 2016 bis 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, war zeitgleich mit seinem Vorsitz Leiter eines Beraterkreises für Facebook. Einen Interessenkonflikt sah Dabrock selbst nicht.2

Alena Buyx, 2020 bis 2024 Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Medizinprofessorin an der Technischen Universität München, hat für ihre dortigen Studien von Fördermitteln pharmanaher Institutionen profitiert, wie zum Beispiel dem britischen Wellcome Trust. Die „Welt“ betitelte ihren Artikel der Wissenschaftsjournalistin Stolze dazu: „Die verborgene Seite der Ethikrat-Chefin“.3 Buyx Anwälte haben versucht diese Information aus dem Artikel streichen zu lassen.4

Ethische Empfehlungen für unsere Gesellschaft

Der deutsche Staat zahlt jedes Jahr, Dank der Steuerzahler, zwei Millionen Euro an den Ethikrat, für Büro-Mitarbeiter, Miete, Berichte der Fach-Leute und Aufwands-Entschädigung der Mitglieder. Und was bekommt der Steuerzahler dafür? Ethische Stellungnahmen und Empfehlungen für das politische Handeln der Bundesregierung.

Im Dezember 2020 forderte Wolfram Henn – Humangenetiker und damals Mitglied5 – zum Beispiel in einem Brandbrief: „Wer (…) partout das Impfen verweigern will, der sollte, bitteschön, auch ständig ein Dokument bei sich tragen mit der Aufschrift: „Ich will nicht geimpft werden! Ich will den Schutz vor der Krankheit anderen überlassen! Ich will, wenn ich krank werde, mein Intensivbett und mein Beatmungsgerät anderen überlassen.“6

In einer Mail an den Journalisten Bastian Barucker schrieb Herr Henn ein Jahr später, er habe diese Aussage so nie getroffen, sie sei frei erfunden.7 Der verantwortliche Bild-Redakteur bestätigte jedoch auf Nachfrage, der Brandbrief sei mit diesem Zitat und in Absprache mit Herrn Henn extra für diese Zeitung verfasst worden.

Und die damalige Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, sagte am 15. November 2021 auf n-tv Frühstart auf die Frage zu 2G-Regelungen: „Die Situation ist bedrohlich. Es wäre schön gewesen, wenn wir mit 3G weitergekommen wären, aber es droht schon wieder eine Überlastung der Krankenhäuser“. Die Wahl sei irgendwann, ob man Ungeimpfte und Geimpfte einschränke, oder nur Ungeimpfte, „und da gäbe es einen erheblichen Unterschied im Risiko, so Buyx“.8
2G war Ausschluss in Reinstform und Diskriminierung mit Regierungserlaubnis.

Brauchen wir einen Ethikrat

Aber schauen wir uns das Thema der Jahrestagung des Ethikrats, vom 18. Juni 2025, an. Es lautete: Gelingende Solidarität. Es war just der Deutsche Ethikrat, der während der Corona-Krise diese Solidarität massiv missbraucht hat. Bei der Empfehlung zur Impfpflicht, Ende Dezember 2021, hieß es: „Der Deutsche Ethikrat sieht eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, durch eine Impfung sich und andere zu schützen.“9 Zudem gelte, so der Ethikrat, das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper „nicht absolut“.

Sehr geehrter Ethikrat: Über den eigenen Körper und die Gesundheit zu entscheiden, ist ein grundlegendes Menschenrecht und verankert in unserem Grundgesetz, Artikel 2.

Deswegen frage ich: Brauchen wir einen Ethikrat mit Interessenkonflikten und Demokratiedefiziten, dessen Mitglieder zudem von denjenigen ausgesucht werden, deren Pläne er kritisch unter die Lupe nehmen und unabhängig beraten soll? Einen Ethikrat, der in Ausnahmesituationen Menschenrechte und das Grundgesetz in Frage stellt?

Ich sage nein. Die zwei Millionen Steuergelder pro Jahr könnten wir beispielsweise in den maroden Schulen sehr gut gebrauchen.

Brandbrief Wolfram Henn

Im Dezember 2020 forderte der Humangenetiker und Medizinethiker Wolfram Henn, damals Mitglied des Deutschen Ethikrats: „Wer (…) partout das Impfen verweigern will, der sollte auch ständig ein Dokument bei sich tragen. (…) Ich will, wenn ich krank werde, mein Intensivbett und mein Beatmungsgerät anderen überlassen.“  Ein Jahr später schrieb Henn an den Journalisten Bastian Barucker, diese Aussage sei frei erfunden. Der verantwortliche Bild-Redakteur bestätigte jedoch Connections.news: Der Brandbrief ist damals in Absprache mit Herrn Henn extra für diese Zeitung verfasst worden.

In Auszügen veröffentlicht am 19.12.2020 bei der Bild-Zeitung*

„Liebe Impf-Skeptiker,
nun kann es auch in Deutschland endlich losgehen mit den Impfungen gegen das Coronavirus. Fast alle freuen sich darauf, dass sie mit einem kleinen Pieks sich selbst schützen und der Allgemeinheit viel Gutes tun können.

Alte, Kranke, Ärzte, Pfleger auf den Intensivstationen und in Pflegeheimen kommen zuerst dran. Junge, gesunde Menschen müssen warten, bis die am stärksten Gefährdeten und das Personal in Kliniken und Heimen durchgeimpft sind.

Doch am Ende erhalten alle ihren Schutz, wenn sie es zulassen.

Eine Impfpflicht gibt es nicht. Auch weil viele noch skeptisch sind und Fragen haben. Das ist verständlich. ABER: Bitte stellen Sie diese Fragen an Menschen, die sich wirklich auskennen.

Zum Beispiel: Warum ist es so schnell gegangen mit der Entwicklung der neuen Impfstoffe? Womöglich zu schnell? Antwort: Forscher weltweit haben mit riesigem Aufwand das Tempo erhöht, aber nicht auf Kosten der Sicherheit. Wenn man 40 000 Testpersonen vor der Zulassung braucht, dann kann man über zehn Jahre 4000 pro Jahr probeimpfen – oder eben in einem halben Jahr 40.000.

Richtig ist: Langzeiterfahrungen zu Corona-Impfungen kann es noch nicht geben. ABER: Mit der Technik der neuen Impfstoffe hat man schon viele Jahre Erfahrung. Zudem wird es binnen Monaten auch Corona-Impfstoffe klassischer Bauart geben, wie sie seit Jahrzehnten milliardenfach gegen Grippe oder Hepatitis bewährt sind.

Andere Frage: Kann der neue RNA-Impfstoff meine Gene verändern? Klare Antwort: Nein, kann er nicht. Alle mir bekannten Virologen und Genetiker lassen sich deshalb auch persönlich impfen. Auch ich selbst werde mir nach 30 Jahren Berufserfahrung die Spritze setzen lassen, ebenso wie meine Familie – weil ich gerne lebe und meine Liebsten schützen will.

Dennoch machen „Querdenker“ und Impfgegner in Sozialen Netzen mobil gegen den Impfstoff.

Im Internet darf jeder sagen was er denkt, auch solche, die sich mit dem Denken schwertun. Aber diesen Panikmachern empfehle ich dringend, mal ins nächste Krankenhaus zu gehen und ihre Verschwörungstheorien den Ärzten und Pflegern zu präsentieren, die gerade völlig ausgepowert von der überfüllten Intensivstation kommen. Die werden ihnen was husten…

Wer dennoch entscheidet, das Impfen lieber „den anderen“ zu überlassen, muss sich vor keiner Behörde verantworten. Aber er soll sich bitte auch vor dem Kneipier an der Ecke erklären, der die Lockdowns endlich hinter sich lassen will. Oder den Eltern, deren Kinder zu Hause bleiben müssen. Oder Kurzarbeitern und Arbeitslosen…

Und wer dennoch partout das Impfen verweigern will, der sollte, bitteschön, auch ständig ein Dokument bei sich tragen mit der Aufschrift: „Ich will nicht geimpft werden! Ich will den Schutz vor der Krankheit anderen überlassen! Ich will, wenn ich krank werde, mein Intensivbett und mein Beatmungsgerät anderen überlassen.““

* bild.de/politik/inland

Autor

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ist studierte Romanistin und ausgebildete Radiojournalistin, arbeitet seit rund zwanzig Jahren für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, vorwiegend im Kulturbereich. Von 2013 bis 2020 war sie als Dozentin der DW Akademie für Journalismus in Bolivien, Guatemala, Brasilien, Libanon und Palästina unterwegs. Aufgrund der Bankrotterklärung des Journalismus berichtet sie seit 2020 über aktuelle Politik und Wissenschaft und kommentiert den Wandel der Gesellschaft.

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