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Jens Spahn: kein Fremdschutz bei Covid-Impfung

Wissentliche Falschinformation und rechtswidrige Grundrechtseinschränkungen?

Am 15. Dezember 2025 sagte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie[1], es sei nie Ziel der Covid-Impfstoffentwicklung gewesen, einen Fremdschutz zu gewährleisten. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den zentralen Begründungen der Bundesregierung während der Pandemie, denn der Fremdschutz wurde maßgeblich zur Rechtfertigung der Grundrechtseinschränkungen herangezogen. Kann die Bundesregierung oder Herr Spahn hierfür rechtlich zur Verantwortung gezogen werden?

Interview mit dem Verfassungsrechtler Prof. Volker Boehme-Neßler.

Boehme-Neßler Interview Grundrechtseinschränkungen Spahn
Interview mit Prof. Boehme-Neßler zur Aussage von Jens Spahn vor der Corona-Enquete-Kommission (@ Boehme-Neßler / IMAGO / dts Nachrichtenagentur)

Es war nie Ziel – auch der WHO nicht – bei der (Covid-) Impfstoffentwicklung, dass es zu Infektionsschutz gegenüber Dritten kommt.

Jens Spahn (CDU), ehem. Bundesgesundheitsminister,
15. Dezember 2025, Enquete-Kommission Corona

Grundrechtseinschränkungen

Herr Boehme-Neßler, der vermeintliche Fremdschutz der Covid-Impfung war ein zentrales Argument der Bundesregierung zur Rechtfertigung der Grundrechtseinschränkungen, etwa durch 2G-Regeln oder die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Unter welchen Voraussetzungen sind derartige Einschränkungen von Grundrechten zulässig?

Boehme-Neßler:
„Eingriffe in Grundrechte lässt die Verfassung nur zu, wenn sie verhältnismäßig sind. Und das sind sie nur, wenn sie geeignet und erforderlich sind, um das Ziel zu erreichen, das der Gesetzgeber mit ihnen erreichen will.“

Welche Grundrechte wurden eingeschränkt?

Boehme-Neßler:
Sehr viele. Die Menschenwürde etwa, wenn alte Menschen isoliert im Altersheim sterben müssen. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, wenn 2 G-Regeln durchgesetzt werden. Das Grundrecht auf Gesundheit in Art. 2 Abs. 2 GG, wenn Menschen zu einer Impfung gezwungen oder mit Hilfe bewusst falscher Informationen dazu überredet werden. Die Versammlungsfreiheit, wenn Demonstrationen sinnlos verboten werden. Wenn man lange genug nachdenkt, fallen einem sicher weitere Beispiele ein.“

Rechtswidrig?

Macht die fehlende Ausrichtung der COVID-19-Impfstoffe auf Fremdschutz die damaligen Grundrechtseinschränkungen verfassungswidrig?

Boehme-Neßler:
„Alle Einschränkungen, die damit begründet wurden, dass Ungeimpfte ansteckender seien als Geimpfte. Denn das war falsch – und damit waren die Grundrechtseinschränkungen sinnlos und unverhältnismäßig und damit auch verfassungswidrig.“

War die Einschränkung des Grundrechts, Artikel 1, „die Würde des Menschen ist unantastbar“ durch moralischen und institutionellen Impfzwang juristisch rechtswidrig? Und wenn ja, gibt es juristische Konsequenzen?

Boehme-Neßler:
„Menschen durch falsche Informationen und moralischen Druck gefügig zu machen, verstößt gegen die Menschenwürde. Die ist immer verletzt, wenn der Staat Menschen zu reinen Objekten degradiert. Also: Ja, das verstieß gegen die Menschenwürde. Aber es gibt keine juristischen Konsequenzen. Aber wenn der Wähler will, gibt es bei den nächsten Wahlen politische Konsequenzen.“

Bewusste Lüge?

Hat Herr Spahn wissentlich gelogen? In seiner Rede zur Feststellung des Fortbestehens der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vor dem Deutschen Bundestag am 25. August 2021 in Berlin, sagte er zum Beispiel:

Ob man sich impfen lässt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung, aber die Entscheidung, die man trifft, hat auch Folgen für die Menschen um einen herum (…) Für uns heißt Freiheit: Verantwortung für sich selbst, aber immer auch für andere und für die Gemeinschaft. (…) Wer sich impfen lässt, der schützt sich selbst, aber er schützt eben auch diejenigen, die sich nicht impfen lassen können: Kinder unter zwölf Jahren beispielsweise.”[2]

Jens Spahn (CDU), ehem. Bundesgesundheitsminister,
25. August 2021, Rede vor dem Deutschen Bundestag

Boehme-Neßler:
„Er hat davon gesprochen, dass Impfung für Fremdschutz sorge, obwohl er wusste, dass das falsch war. Bewusst die Unwahrheit sagen, ist das nicht die Definition von lügen?“

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Keine rechtlichen Konsequenzen

Können sich aus dem Vorwurf bewusst falscher Aussagen durch Herrn Spahn juristische Konsequenzen ergeben? Und können Regierungsmitglieder wegen verfassungswidriger Grundrechtseinschränkungen haftbar gemacht werden?

Boehme-Neßler:
„Es ergeben sich keine
juristische Konsequenzen. Man darf grundsätzlich lügen, solange das nicht strafrechtlich relevant ist. Das gilt auch für Politiker. Und das deutsche Recht kennt keine Haftung von Politikern für schlechte oder böse Politik.“

Das heißt, Regierungsmitglieder bleiben trotz bewusster Falschaussagen und rechtswidriger Grundrechtseingriffe rechtlich unbehelligt?

Boehme-Neßler:
„Das hängt, wie alles in der Demokratie, von den Wählern ab. Wenn sie das Handeln durch eine Wiederwahl billigen, kann man nichts machen. Die Wähler könnten aber, wie gesagt, bei den nächsten Wahlen an der Wahlurne reagieren und lügende Politiker abstrafen.“

Sanktionen für politisches Handeln?

Welche rechtlichen Instrumente gibt es, um Politiker für ihr Handeln zur Verantwortung zu ziehen? In der Schweiz existiert das Mittel der Aufhebung der Immunität. Aber es ist ein schwieriges Thema, wann und wie ist politisches Fehlverhalten rechtlich sanktionierbar?

Boehme-Neßler:
„Dazu müsste man die Gesetze ändern.
Für „normales“ Handeln haften Politiker wie andere Menschen auch. Aber ohne ein spezielles Gesetz haften sie nicht für ihr politisches Handeln. Grundsätzlich wäre es nicht einfach, in einem Gesetz, die Haftung von Politikern festzuschreiben. Welche politischen Handlungen sollten welche haftungsrechtlichen Folgen haben? Sollte man schlechte Politik unter Strafe stellen? Das wird praktisch nicht möglich sein. Schon allein die Frage, was eigentlich schlechte Politik ist, lässt sich kaum eindeutig beantworten. Oder sollte man die Verschwendung von Steuergeldern unter Strafe stellen? Auch das ist praktisch schwierig, wenn nicht unmöglich. Denn was eine Verschwendung von Steuergeldern ist, lässt sich auch kaum eindeutig festlegen. Wann hören die sinnvollen Investitionen in die Zukunft auf, und wo beginnt die sinnlose Steuerverschwendung? Wer soll das entscheiden? Ich fürchte, dass Politik ein Bereich ist, in dem Fehlverhalten rechtlich kaum sanktionierbar ist. Politisches Fehlverhalten muss der Bürger und Wähler politisch bestrafen – durch entsprechende Entscheidungen an der Wahlurne.“

Kein Interesse seitens der Politiker

Sind rechtliche Bedenken oder Missbrauchsrisiken der Grund für das Ausbleiben eines solchen Gesetzes – oder besteht vielmehr die Sorge, dadurch politische und rechtliche Verantwortung auszulösen?

Boehme-Neßler:
„Realistisch ist wohl folgende Sicht: Es müssten ja die Politiker im Bundestag ein Gesetz beschließen, das sie in Zukunft in Haftung nimmt. Das werden sie wohl kaum machen.“

Amnestie für alle Verstöße gegen Coronarecht

Herr Boehme-Neßler, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen weiterhin für Personen, die infolge rechtswidriger Grundrechtseinschränkungen verurteilt wurden oder anderweitig Schaden erlitten haben?

Boehme-Neßler:
Politiker, die die Verfassung verletzt haben, kommen damit davon. Bürger, die Coronaregeln verletzt haben, werden bis heute verfolgt und zur Rechenschaft gezogen. Das kann nicht sein. Deshalb brauchen wir dringend eine Amnestie für alle Verstöße gegen Coronarecht. Slowenien und Spanien machen vor, dass das geht und sehr sinnvoll ist, um die Post-Corona-Gesellschaft zu befrieden.“

Autor

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ist studierte Romanistin und ausgebildete Radiojournalistin, arbeitet seit rund zwanzig Jahren für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, vorwiegend im Kulturbereich. Von 2013 bis 2020 war sie als Dozentin der DW Akademie für Journalismus in Bolivien, Guatemala, Brasilien, Libanon und Palästina unterwegs. Aufgrund der Bankrotterklärung des Journalismus berichtet sie seit 2020 über aktuelle Politik und Wissenschaft und kommentiert den Wandel der Gesellschaft.

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