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Quo vadis, Europa?

Krieg und Nachhaltigkeit™ – Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt – Teil 3

„Sämtliches Handeln der EU stützt sich auf die Verträge“, so das Brüsseler Credo[1]: diese „sind die Grundlage für das EU-Recht und werden als Primärrecht bezeichnet“; die darauf „aufbauenden Rechtsvorschriften werden Sekundärrechte genannt“. Letztere umfasst Verordnungen, Richtlinien, etc. „Die EU“ kann folglich nur dann etwas beschließen, wenn sie ausdrücklich dazu ermächtigt wurde, so lautet das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung[2]. Dies vorausschickend, steht nun die „neue Ära der europäischen Verteidigung und Sicherheit“[3] im Fokus, bzw. zusätzliche Mittel von 500 Milliarden Euro. Wird aus dem Friedensprojekt eine Kriegsmaschine?

Eine Kommentar-Reihe von Gastautor Stephan Sander-Faes

EU - Krieg und Nachhaltigkeit
EU: Aus einem Friedenprojekt wird eine Rüstungsmaschinerie

(@ Adobe Stock / oxinoxi / Oulaphone)

Neuordnung des EU-Primärrechts

Um Europa „gegen Russland und andere Mächte“ – gemeint ist China, befindet Kaja Kallas[4]– verteidigen zu können, sind gemäß EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „zusätzliche Mittel (…) von 500 Milliarden Euro“ alleine in den nächsten zehn Jahren erforderlich. Zwar verändern 50 Milliarden jährlich das Kräfteverhältnis nicht wesentlich, doch bedeutet dieser Schritt eine grundlegende Neuordnung des EU-Primärrechts, und das ganz ohne öffentliche Debatte oder Einbeziehung des Souveräns.

Das EU-Rüstungskartell

Hierbei sind die Planungen zur Aufrüstung „Strategy for the defence industry at EU level“ maßgeblich. Das im März 2024 –  und damit Monate vor den EU-Wahlen (6.-9. Juni 2024) – veröffentlichte Dokument „European defence industrial strategy (EDIS)“[5] avisiert Maßnahmen, um die europäische Rüstungsindustrie durch „erhöhte, kooperativere und europäische Investitionen der Mitgliedstaaten“ zu stärken, „eine Kultur der Verteidigungsbereitschaft in allen EU-Politikbereichen (zu) verankern“ und so „die verfügbaren Kräfte mit den weltweiten Partnern“ zu bündeln.

Erwähnung findet auch das NATO-Ziel von mind. 2% Militärausgaben, allerdings verbleiben die EU-Staaten bis dato rund 1/3 Drittel unter[6] diesem 2014 vereinbarten Ziel. Es kommen also weitere rund 175 Mrd. Euro im nächsten Jahrzehnt an Militärausgaben hinzu, wodurch diese in der EU (zumindest nominal) mit dem US-Kriegsetat gleichziehen. Damit allerdings sind die Gemeinsamkeiten abgehakt, denn das Strategiepapier hält fest:

Was die industriellen Lücken betrifft, ist die EDTIB (European defence technological and industrial base, Anm.: etwa Rüstungsindustrie) sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite fragmentiert (…) die nationalen Regierungen sind die Hauptnachfragequelle für die heimische Verteidigungsindustrie, die auch die Exportbestimmungen festlegen und den gesamten Beschaffungsprozess für Verteidigungsgüter überwachen. Dies hat dazu geführt, dass nationale Rüstungsunternehmen, die in kleinen Märkten tätig sind, Produkte in Mengen produzieren, die für das aktuelle geopolitische Umfeld völlig unzureichend sind.

Gremium für industrielle Bereitschaft der Verteidigung

Hier geht es im wahrsten Sinne des Wortes um das Eingemachte: viel Geld. Der EU-Kommission sind viele kleine nationale Rüstungsindustrien ein Dorn im Auge; die Lösung™ aus Brüssel ist: Die Bildung eines gigantischen blockweiten Kartells (Monopol). Die Staats- und Regierungschefs der EU haben erkannt, dass einheitliche Kommando- und Beschaffungsstrukturen die Voraussetzung sind, um global und vor allem auch militärisch intervenieren zu können. Das „European defence industrial strategy“-Papier – kurz EDIS-Papier – , weist auch aus, wie dies erreicht werden soll:

EDIS schlägt ein Gremium für die industrielle Bereitschaft der Verteidigung vor, dem Vertreter der Mitgliedstaaten, des Hohen EU-Vertreters und der Kommission angehören sollen. Dieser Ausschuss soll die in der Analyse der Investitionslücke im Verteidigungsbereich geforderte gemeinsame Planungs- und Beschaffungsfunktion der EU wahrnehmen. Die vorgeschlagene EDIP-Verordnung (EDIP: European Defence Industry Programme) würde den Ausschuss formal einrichten, der auch bei der Umsetzung helfen würde.

Unter erneutem Verweis auf Orwell ist also folgende Marschrichtung vorgegeben: Es wird ein neuer institutioneller Rahmen („Ausschuss“) geschaffen, der das Problem („Investitionslücke“) aufzeigt, daraufhin Maßnahmen („Verordnung“) vorbereitet – also „sekundäre Gesetzgebung“ – vorschlägt und gleichzeitig „bei der Umsetzung hilft“.

"Quo vadis, Europa?"

Kommentar-Reihe von Gastautor Stephan Sander-Faes.
Einst bedeutete „Europa“ Frieden, Wohlstand und die Verbesserung des Lebens. Nun aber verwandelt sich der von Brüssel geführte Block jedoch zur Unkenntlichkeit. Angesichts von Akteuren mit zweifelhaftem Ruf wie der Kommissionspräsidentin der Europäischen Union (EU) Ursula von der Leyen, sowie eingedenk der grassierenden Korruption im EU-Parlament[2], wird der vorgebliche „europäische Traum“ vor unseren Augen zu einem Albtraum.

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Keine parlamentarische und justizielle Aufsicht

Falls in der Vergangenheit Bedenken hinsichtlich des EU-„Demokratiedefizits“ gehegt wurden, so wird dies durch die Verschmelzung von Exekutive und Legislative mit dem vorgesehenen Rüstungskartell – unter ausdrücklicher Auslassung jeglicher parlamentarischer und/oder justizieller Aufsicht – nicht nur verschärft, sondern gleich ganz abgeschafft.

Im Falle der Europäischen Union (EU) bezieht sich (der Begriff „Demokratiedefizit“) auf den gefühlten Mangel an Zugänglichkeit oder Repräsentation der gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürger gegenüber den EU-Organen – das Gefühl, dass eine Kluft zwischen den Befugnissen dieser Einrichtungen und der wahrgenommenen Unfähigkeit der Bevölkerung, deren Entscheidungen zu beeinflussen, besteht.[7]

Schuldenfond für Verteidigung

Das Strategiepapier sagt auch aus, wie Brüssel dies bezahlen will: „Der (damalige, Anm.) EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton (nun bei der Bank of America[8]), hat bei einer Veranstaltung im Januar 2024 einen schuldenfinanzierten Fonds in Höhe von 100 Milliarden Euro vorgeschlagen, um die gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsprodukten zu fördern.“

Hierzu muss man wissen, dass sowohl Art. 41 (2) des Maastrichter Vertrags (EUV)[9] als auch Art. 173 des Lissabonner Vertrags (AEUV) (3) – erneut „Primärrecht“ – die gemeinsame Schuldenfinanzierung von Rüstungsausgaben ausdrücklich verbieten. Relevant ist zudem der 1997 im Amsterdamer Vertrag eingeführte Enthaltungsklausel betreffend die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die aktuell in Art. 31 (1)[10] verankert ist; diese Klausel ermöglicht Mitgliedsstaaten die Enthaltung in GASP-Belangen (rechtswiss. Ausführungen[11]). Art. 173 des Lissabonner Vertrags führt zudem aus, dass keinerlei wettbewerbsverzerrende und/oder steuerliche Maßnahmen auf dessen Basis eingeführt werden können.

Schuldenpaket um Verbot von Steuerfinanzierung zu umgehen

Die Absicht der Kommission, kreditfinanzierte Ausgaben zur Schaffung eines blockweiten Rüstungskartells einzusetzen scheint allein aus dem Blickwinkel des EU-Primärrechts grenzwertig, von der Frage nach den für den Zinsendienst notwendigen Einnahmen ganz zu schweigen.

Wie auch bei den Covid-Zertifikaten, so verfolgt die EU-Kommission auch im Rüstungszusammenhang ähnliche Methoden: gemeinsame Schulden werden aufgenommen, um das Verbot der Steuerfinanzierung von Kriegsmitteln (Art. 41 (2) EUV) zu umgehen. Die zentrale Rolle Brüssels innerhalb des Binnenmarkts (Art. 173 AEUV) wird dahingehend abgeändert, dass die Schaffung eines kriegswirtschaftlichen Kartells die EU-Rüstungsindustrie global wettbewerbsfähiger machen solle.

Gegen das Verbot der Aufnahme gemeinsamer Schulden

Die Haltung der Kommission ist angesichts des im Maastrichter Vertrag[13] verankerten Verbots der Aufnahme gemeinsamer Schulden höchst fragwürdig. Diese Klauseln sind so grundlegend, dass eine Fülle von Darlegungen existiert, unter anderem von der Europäischen Zentralbank („Fünf Dinge, die Sie wissen müssen“[14]) und der Deutschen Bundesbank („Maastricht-Schulden“[15]). Diese Vertragsgegenstände sind auch einschlägigen Kommentatoren nicht entgangen, wie etwa Luigi Scazzieri und Sander Tordoir vom Centre for European Reform, die kürzlich ein Strategiepapier mit der Frage „Gemeinsame europäische Schulden: Ist Verteidigung anders?“[16] veröffentlichten:

Seit der Pandemie-Wiederaufbaufond der Union eine groß angelegte gemeinsame Kreditaufnahme der EU ermöglicht hat, betrachten politische Entscheidungsträger ein solches Instrument oft als Lösung für eine Reihe von Problemen.[17]

Friedensprojekt wird Kriegsmaschine?

Hier ist in aller Kürze zusammengeführt, wie problematisch – widerrechtlich – diese Schritte seitens der EU sind. Zudem halten Scazzieri und Tordoir fest, dass es „unklar ist, ob der politische Konsens für erhöhte Verteidigungsaufwendungen“ bestehe, da es „unwahrscheinlich (ist), dass Wähler diese gutheißen, wenn dafür Steuern erhöht und/oder Sozialleistungen gekürzt werden“.

Die heiklen Rechtsfragen, die diese Schritte mit sich bringen, werden wohl alsbald vor Gericht verhandelt werden. Bis es jedoch so weit sein wird, haben die handelnden Akteure jedoch noch ein wenig Zeit, wobei das Eskalationsrisiko weiter steigen und gleichzeitig der von Brüssel gesteuerte Fundamentalumbau des einstigen „Friedensprojekts“ in eine Kriegsmaschine vorangetrieben wird.

EU EDIS Strategie

(Zum Vergrößern auf die Grafik klicken)

Autor

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Stephan Sander-Faes ist Historiker, Assoc. Professor für Geschichte an der Universität Bergen in Norwegen sowie Privatzdozent an der Universität Zürich. Er forscht und lehrt zur Geschichte (Ostmittel-) Europas in der Neuzeit.

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